Warum jeder über eine „Quantenapokalypse“, spricht
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Stehen wir vor dem Zusammenbruch des Internet – vor einer „Quantenapokalypse“, wie manche sagen? Das klingt nach einer Science-Fiction-Szene, in der ein Supercomputer die bisherigen Verschlüsselungsmethoden aushebelt, die eine maßgebliche Grundlage des Internet bilden. Kaum vorstellbar, was für ein Chaos das in unserer immer stärker vernetzten und digitalisierten Welt anrichten würde.
Zumindest vorerst erscheinen unsere Online-Systeme einigermaßen sicher. Ob im Online-Banking, im Zahlungsverkehr oder in staatlichen Datenbanken, überall werden Daten durch Verschlüsselung geschützt – lebenswichtige Schutzmechanismen in der digitalen Welt. Die heute verwendeten Verschlüsselungen zu knacken, also Daten in ein unlesbares Format zu versetzen, den „Ciphertext“, würde nach Auskunft von Fachleuten praktisch ewig dauern1.
Das könnte sich jedoch grundlegend verändern, wenn es erst Quantencomputer gibt. Während klassische Computer Daten in binären „Bits“ speichern (Nullen und Einsen) und arbeiten, indem sie lange Reihen solcher Bits erzeugen und anschließend abspeichern, ist mit den „Qubits“ (Quantenbits) von Quantencomputern beides zugleich möglich. So können sie auf einen Schlag Millionen von Berechnungen durch Ausprobieren durchführen. Ein Quantencomputer könnte in Sekunden schaffen, wofür ein herkömmlicher Rechner Wochen brauchen würde.
Wie ist diese nicht-lineare, exponentielle Veränderung zu bewerten? Stellen wir uns konventionelle Computer als Pferdekutsche vor, wie ein Experte vor kurzem erläuterte, dann wäre ein Quantencomputer „so etwas wie ein Sportwagen – also ein gewaltiger Sprung nach vorne.“2
Das Albtraumszenario ist, dass so ein quantenmechanischer Supercomputer in die Hände von Schurkenstaaten oder Kriminellen fallen könnte. Bei ausreichender Leistungsfähigkeit könnte er eingesetzt werden, um staatliche Systeme zu hacken, Stromnetze abzuschalten, Bankkonten abzuräumen, Bitcoin-Wallets zu leeren und finanzielles Chaos zu stiften. Das könnte das Ende des Internet bedeuten, wie wir es heute kennen.
Gleichzeitig liefern sich die USA und China im Moment eine Art quantenmechanischen Rüstungswettlauf des 21. Jahrhunderts. Wer als Erster einen echten Quanten-Supercomputer entwickelt, wird einen gewaltigen, wenn nicht sogar vernichtenden Cyber-Vorsprung erringen, warnen Militäranalysten. Ein beunruhigendes Signal für Washington: Angeblich soll Peking bisher die Nase vorn haben.3
Da ein Quantensprung näher rückt, bemühen sich Sicherheitsexperten eifrig, der Entwicklung einen Schritt voraus zu bleiben. Dafür soll es gleich mehrere vielversprechende Optionen geben. Zunächst arbeiten Wissenschaftler an neuen „quantensicheren“ Verschlüsselungsmethoden. Die US-Behörde für Standardisierungsprozesse (das National Institute of Standards and Technology, kurz NIST) wertet derzeit 69 Möglichkeiten der „Post-Quantum-Kryptographie“ oder PQK aus. Dann gibt es da eine potenzielle Quantum Key Distribution (QKD), die Quantenphysik nutzt, um einen Schlüssel sicher zwischen zwei Endpunkten zu übertragen.4
Beide Methoden sind aussichtsreich, doch als Patentrezept hat sich noch keine erwiesen. Währenddessen verdeutlicht allein die große Zahl der führenden Behörden, Technologieriesen und sogar Banken, die sich mit Quantensicherheit befassen, was inzwischen auf dem Spiel steht.
„Das ist kein futuristisches Science-Fiction-Thema, über das wir uns in 20 Jahren Gedanken machen müssen“, betonte Tony Uttley, Präsident des Quantentechnologie-Unternehmens Quantinuum. „Damit müssen wir uns heute auseinandersetzen.“5
Wie könnten diese neuen Optionen aussehen? Befürworter von Quantenrechnern wie IBM und Google verweisen auf eine ganze Reihe potenzieller Vorteile auf so unterschiedlichen Gebieten wie künstlicher Intelligenz, Datenanalyse, medizinischer Forschung, Wetter- und Pandemieprognosen und sogar Logistik- und Lieferkettenmodellierung. In einer Welt der Datenfluten bieten Quantencomputer ihrer Ansicht nach eine Möglichkeit, den Rauschpegel zu durchbrechen und in jeder Hinsicht zum Verständnis zu gelangen.
Doch das ist längst nicht alles. Es könnte auch Durchbrüche auf anderen Gebieten wie Prognostik und Modellierung geben, etwa für Wetterberichte, Pandemieprognosen oder Lieferketten. So sind Wettervorhersagen beispielsweise notorisch unzuverlässig. Auf fünf bis sieben Tage treffen die Wetterberichte gewöhnlich zu, doch für längere Zeiträume wie Wochen oder Monate liegen sie oft weit daneben. Es gibt einfach zu viele Variablen, die ohne die Hilfe eines Supercomputers nicht kalkulierbar sind.
Angesichts der Zunahme von Naturkatastrophen und deren Kosten, der globalen Ernährungssicherheit, die Grund zu großer Sorge gibt, und der globalen Erwärmung als eines der drängendsten Probleme unserer Zeit wird es künftig entscheidend darauf ankommen, Wettermuster und Ernteerträge besser zu verstehen und zu prognostizieren.
Angesichts fallender Hürden für die Medikamentenentwicklung könnte ein goldenes Zeitalter für Biotechnologie ins Haus stehen – ein Fortschritt, der genau zur richtigen Zeit käme, da sich die Anzahl von Menschen über 50 weltweit bis 2050 verdoppeln soll.8 Andere Branchen könnten vor ähnlichen revolutionären Entwicklungen stehen, darunter Computer- und Netzsicherheit sowie Logistik.
Kein Wunder also, dass sich Softbank und Vodafone unlängst mit Googles Sandbox zusammengeschlossen haben, um deren Potenzial auszuloten, und die Branchenschwergewichte Exxon und Daimler ihrerseits mit dem Quantum Services Team von IBM. Können sie sich dadurch zeitig von der Konkurrenz absetzen? Und werden Google und IBM in dieser Sparte ähnlich dominieren wie Microsoft und Amazon heute im Bereich der Cloud-Dienste?
Das weiß natürlich keiner so genau, noch nicht einmal die allmächtigen Quantencomputer, die unser Leben radikal auf den Kopf zu stellen versprechen. Eines ist jedoch sicher: Es steht uns ein Quantensprung bevor – mit gewaltigen Risiken und Chancen. Darauf müssen sich Sicherheitsexperten und Investoren einstellen.
Gedankliche Vielfalt fördert die Entwicklung erkenntnisreicher Ideen.
- Quantenapokalypse: Der Zeitpunkt, an dem Quantencomputer so leistungsfähig sind, dass sie moderne Verschlüsselungen knacken können. Dadurch könnten Staat, Kommunikation, Bankwesen, Verkehr, Energie und andere kritische Systeme, die Verschlüsselung einsetzen, um Informationen und Daten zu speichern, in Gefahr geraten.
- Quanten-Computing: Quanten-Computing ist eine Computertechnologie, die die kollektiven Eigenschaften quantenmechanischer Zustände wie Superposition, Interferenz und Verschränkung nutzt, um Berechnungen auszuführen. Die Geräte, die Quantenberechnungen ausführen, werden als Quantencomputer – oder auch als Supercomputer – bezeichnet.
- Quantensprung: Ein enormer, oftmals plötzlicher Fortschritt, der eine Entwicklung voranbringt.
2 Quelle: IDQ. https://www.idquantique.com/quantum-safe-security/quantum-key-distribution/
3 Quelle: Newsweek. https://www.newsweek.com/america-races-avert-quantum-apocalypse-1676366
4 Quelle: RBC Capital Markets. https://www.rbccm.com/en/gib/healthcare/episode/the_healthcare_data_explosion
5 Quelle: Fierce Biotech. https://www.fiercebiotech.com/medtech/roche-taps-into-quantum-computing-software-for-alzheimer-s-disease-research
6 Quelle: United Nations. https://www.un.org/development/desa/en/news/population/our-world-is-growing-older.html
7 Quelle: Cision News. https://www.prnewswire.com/news-releases/sandboxaq-launches-with-prominent-investors-including-t-rowe-price-eric-schmidt-breyer-capital-guggenheim-partners-and-thomas-tull-and-customers-including-vodafone-business-mt-sinai-health-system-and-wix-301507178.html
8 Quelle: Tech Republic. https://www.techrepublic.com/article/ibm-daimler-ag-and-exxonmobil-explain-why-collaboration-is-vital-for-success-in-the-quantum-decade/