Im April 2020, als selbst die Letzten das Ausmaß der Covid-Krise begriffen, verwiesen manche auch darauf, wie die Pandemie einmal mehr deutlich machte, dass es ein Fehler ist, alle Produktionszentren auf eine Stadt zu konzentrieren. Im Falle von Covid manifestierte sich das in Wuhans Rolle als Drehscheibe für die Pharma- und Autoindustrie.

Ein paar Jahre später merken wir an der europäischen Abhängigkeit von russischem Gas und am fortgesetzten Halbleiterkrieg zwischen den USA und China: Sind wir zu stark auf ein Unternehmen, ein Land oder eine Handelsroute angewiesen, kann das bedeuten, dass es richtig teuer wird, wenn eine Störung eintritt.

Im vorliegenden Artikel erläutert Jens Peers, CIO von Mirova US und Co-Portfoliomanager der Mirova Global Sustainable Equity Strategy, warum Unternehmen, Branchen und Länder ihre Lieferketten künftig anders aufziehen könnten und weshalb Unternehmen, die ihren Risiken und ihrer Verantwortung heute gerecht werden, auf gutem Weg sind, in Sachen Nachhaltigkeit zu den Gewinnern von morgen zu werden.


Jens Peers

Jens Peers

CIO & Portfolio Manager
Mirova US
Unter dem Aspekt des Umdenkens unserer Lieferketten erkennen wir allmählich die Grenzen von fast 30 Jahren kontinuierlicher Globalisierung.“

Können sie sich erholen? Ja. Werden sie wieder so wie zuvor? Vermutlich nicht – zumindest nicht auf kurze Sicht. Den Menschen können wieder dieselben Fehler unterlaufen, doch Covid wird kein Thema mehr sein.

Womöglich haben Sie ja versucht, in den letzten zwei oder drei Jahren ein Auto zu kaufen. In dieser Branche gibt es eindeutig noch Engpässe. Die Autopreise gehen durch die Decke, doch die Anbieter bringen die Stückzahlen nicht auf. Sie haben ihre Kostenbasis angepasst, um wieder rentabel zu arbeiten, aber nicht auf einem Niveau, das ihrem Potenzial entspricht.

Auch das ist im Grunde eine Lehre, die uns Covid erteilt hat: Unternehmen müssen akzeptieren, dass es Faktoren gibt, die sich kurzfristig ihrem Einfluss entziehen und sich auf ihre Fähigkeiten auswirken können, ihr Geschäft zu betreiben. Darüber haben wir schon vor drei Jahren gesprochen, und es gilt auch heute noch. Aber heute reden wir nicht darüber, dass Just-in-time-Lieferung unverzichtbar wird, sondern darüber, dass wir ein Jahr auf ein neues Auto warten müssen.

Dass Unternehmen bestimmte Bereiche auslagern, hat unter anderem Kostengründe. Während der Covid-Krise dachten die Unternehmen allmählich um, weil Länder ihre Wirtschaft in unterschiedlichem Tempo wieder öffneten. Stammte ein großer Teil der eigenen Rohstoffproduktion aus China, war man praktisch ausgehebelt, weil dieses Land seine Märkte und Grenzen erst viel später wieder öffnete.

Dann kam der Einmarsch Russlands in die Ukraine, und der Fokus verschob sich auf die Sicherheit der Lieferkette. Da waren manche Sektoren anfälliger als andere, wie sich im Lebensmittelsegment zeigte.

Oft kommt es auf den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Prioritäten an. Während der Fußballweltmeisterschaft in Katar wäre beispielsweise mehr Druck auf das Gastgeberland ausgeübt worden, seine Menschenrechtsbilanz zu verbessern, wenn da kein Krieg im Gang gewesen wäre und für viele Europäer im Vordergrund stand, sich Gaslieferungen zu sichern.

Das verdeutlicht, wie Politik funktioniert, wenn ein Akteur großen Einfluss auf einen wesentlichen Teilbereich der Lieferkette hat. Und wenn es Probleme gibt, potenziert sich das grundsätzlich – ganz besonders, wenn diese Probleme die nationale Sicherheit betreffen. In manchen Teilen der Lieferkette geht es für uns ums Überleben. Das haben wir in der Energiebranche erlebt.

Europa handelte sehr schnell, indem es Energie einsparte und sich verstärkt auf die Erneuerbaren fokussierte. Das gelang den Europäern zügiger, als wir erwartet hatten. Der Weg ist zwar noch weit, doch Europa hat eine klares Ziel, das es ansteuert – nämlich geringere Abhängigkeit von anderen Ländern. Das bedeutet, dass Schlüsselbereiche vermehrt vor Ort einkaufen, was durch die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien beschleunigt wird – nichts anderes tut Europa derzeit.
In der Halbleiterindustrie greift die Politik auf beiden Seiten. Das belegt ein Blick darauf, was die US-Regierung letztes Jahr unternahm, als sie merkte, dass Nvidia bestimmte Arten von Halbleiterchips nach China verkaufte.

Die USA erkannten, dass Nvidia im Grunde Technologie lieferte, die zu militärischen Zwecken verwendet werden konnte, und China dadurch einen Wettbewerbsvorteil im Informationskrieg verschaffen könnte. Ebenso verhinderten die USA, dass Chinas Eigengewächs unter den Technologieunternehmen Huawei fortschrittliche Computerchips kaufte, die mit US-Technologie entwickelt worden waren, und stellten ganze Produktlinien ein.

Dabei ist aber zu bedenken, dass über 90 % der Halbleiter, die für die Wirtschaft wirklich wichtig sind, in China und Taiwan hergestellt werden.1 Erliegt der Handel, kann die US-Wirtschaft nicht wachsen und wir werden nicht in der Lage sein, Dinge zu ersetzen. Wir haben keinen Einfluss auf diese Länder und möchten nicht, dass China die USA, das Vereinigte Königreich oder Frankreich politisch unter Druck setzt, indem es die Fertigung von Halbleitern einstellt.

Aus Unternehmenssicht möchte kein Anbieter die eigene Bilanz sanieren müssen, weil Probleme vorliegen, die sich der eigenen Kontrolle entziehen – und das schließt Zulieferer ein. Kommt es also in China zu einem Lockdown und all den Problemen mit der Einstellung des Verkehrs und der Schließung von Häfen und dergleichen, leidet darunter auch der Zulieferer.

Wenn auch nur ein bestimmter Hafen dichtmacht, kann das schon große Probleme verursachen. Wie sich das verstärken kann, haben wir zum Beispiel vor ein paar Jahren an den Engpässen und Lieferkettenproblemen im Zusammenhang mit der Schließung des Suezkanals gesehen.

Grundsätzlich gilt, dass Probleme mit der nationalen Sicherheit und dem Wettbewerb im Handel gewaltige Auswirkungen auf die Lieferketten haben. Und wir stehen erst ganz am Anfang ihrer weltweiten Neukonzeptionierung.
Nearshoring war die Antwort auf die durch Covid verursachten Störungen. Darunter ist die Verlagerung von Produktions- und Lieferkettenprozessen in nähergelegene Regionen zu verstehen, wodurch manche der potenziellen Transportprobleme vermieden werden können.

Wir konnten beobachten, wie US-Unternehmen darüber nachdachten, Teile ihrer Produktion nach Mexiko und Kanada zu verlegen, noch gefördert durch das US-Mexico-Canada Agreement (USMCA), um so im Grunde mehr Kontrolle über Fertigung, Anlagen, Arbeitskosten, Transport und Energiestrategie zu gewinnen.

Dennoch werden sie in der Regel nach wie vor vielen derselben Probleme ausgesetzt sein wie alle anderen auch. Im Zusammenhang mit Covid gilt zum Beispiel: Öffnet sich ein Land wieder, so folgen andere vermutlich nach. Und wenn es in den USA ein Problem gibt, dann wahrscheinlich in Mexiko ebenfalls. Sie konzentrieren dadurch also andere Risiken.

Friendshoring dagegen ist tatsächlich eine Lösung für die geopolitischen Risiken – wenn ein Unternehmen seine Produktion möglicherweise von China nach Indien verlagert. Doch das zieht Kosten und Folgen nach sich wie Lohninflation aufgrund des Wettbewerbs um Fachkräfte, und es dauert seine Zeit.

Im Grunde erkennen wir unter dem Aspekt des Überdenkens unserer Lieferketten allmählich die Grenzen von fast 30 Jahren kontinuierlicher Globalisierung.
Lieferkettenmanagement war für uns bei Mirova stets untrennbar mit unserer Herangehensweise an das Thema Nachhaltigkeit verbunden. Das geschah oft aus der Perspektive der Menschenrechte und aus ökologischen Erwägungen, und viele dieser Länder, die solche wichtigen Mineralien abbauen, sind dafür bekannt, dass sie in Menschenrechtsangelegenheiten Defizite haben. Das ist seit jeher ein strittiger Punkt, doch wir sind eben auch von diesen Rohstoffen abhängig.

Deshalb wurden in diesen Ländern auch viel weniger Fortschritte in Menschenrechts- und Umweltfragen gemacht – wir haben im Moment einfach keine Wahl, weil wir die Mengen brauchen, die dort gefördert werden. Die Internationale Energieagentur hat kürzlich sogar festgestellt, dass größere Mengen von Mineralien wie Lithium, Kupfer und Nickel nötig sind, um unsere Dekarbonisierungsziele zu erreichen.

Doch wenn wir verschiedene Teile der Lieferkette im Bereich erneuerbare Energien gründlich unter die Lupe nehmen, stellen wir fest, dass wir in Wirklichkeit gar nicht so viele Edelmetalle verwenden, die sich nicht durch andere Materialien ersetzen ließen. Dass sich Solarunternehmen in einer einzigen chinesischen Provinz konzentrieren, hat damit zu tun, dass es bei der Herstellung von Solarmodulen auf die Maschinen ankommt. Man braucht Ingenieure, viel Platz und billiges Kapital. In der Produktion werden zwar manche relativ seltenen Metalle eingesetzt, aber ich halte das nicht für ein großes Lieferkettenproblem bei erneuerbaren Energien – weder für Solar- noch für Windenergie.

Ganz anders sieht das bei Batterien aus – und bei allen übrigen Werkstoffen, die für die fortgesetzte Elektrifizierung unserer Volkswirtschaften benötigt werden. Wir müssen eine ganze Menge mehr Kupfer abbauen. Angesichts seiner Bedeutung in der Batterieherstellung ist insbesondere Lithium ganz wesentlich für den Übergang zur Klimaneutralität. Autohersteller, Solarmodulproduzenten und andere Branchen, die die Umstellung auf CO2-arme Energie vorantreiben, sind alle auf die Verfügbarkeit des Metalls angewiesen.
Deshalb hat China seinen Einfluss in Afrika so ausgebaut – und aus demselben Grund überlegt Tesla, möglicherweise Lithiumminen aufzukaufen und die Lieferkette zu kontrollieren, um unbedingt auch die Batterien in der eigenen Hand zu haben.

Doch während Lithium relativ häufig ist, kommen andere Metalle wie Gold, Nickel und Platin, seltene Erden sowie Quarz vor allem in Russland und in Afrika im Kongo vor. Deshalb rechnen wir mit einer Machtverschiebung von den Öl produzierenden Ländern und Unternehmen im Nahen Osten auf solche, die in der Metall- und Bergbaubranche tätig sind. Denn wer die Lieferketten in den betreffenden Ländern kontrolliert, der hat letztlich die Macht.

Es hat durchaus einen Grund, warum Frankreich und Europa allgemein so stark auf Wasserstoff setzen. Wasserstoff lässt sich überall produzieren, solange man Zugang zu Wasser hat. Es ist keine sehr energiesparende Methode, Energie zu speichern, doch lässt es sich im großen Stil durchführen. Und zwar mit größerer Sicherheit, selbst wenn man keinen Zugang zu den Batterien hat.

Auf kurze Sicht werden die Länder besonders mächtig sein, die Bodenschätze abbauen. Wesentlich mehr Einfluss werden auch die Länder haben, die solche Länder indirekt kontrollieren. Doch auf längere Sicht suchen Europa und andere Länder verstärkt nach Ersatz für diese erfolgskritischen Werkstoffe, um zu gewährleisten, dass sie ihre Lieferketten absichern können.

Es gibt zum Beispiel ein paar finnische Papierunternehmen, die sich nach Stoffen umschauen, die sich quasi als Ersatz für manche Metalle anbieten, etwa Abfallprodukte aus der Holzindustrie. Noch steckt diese Entwicklung in den Kinderschuhen, doch in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird neue Technologie in Betrieb gehen, die es uns ermöglicht, unsere Abhängigkeit von bestimmten erfolgskritischen Werkstoffen zu verringern. Das wird manche Engpässe beseitigen – geopolitische, aber auch solche mit Blick auf das Wachstum. Denn allein schon die Investitionen, die benötigt werden, um die Welt zu elektrifizieren, verlangen nach besseren Alternativen.
Grundsätzlich achten wir darauf, ob sich die Unternehmen all dieser Risiken bewusst sind, die wir angesprochen haben. Dann bewerten wir, ob sie diese Risiken steuern können – und ob sie tatsächlich etwas dagegen unternehmen.

Im Rahmen dieser Analyse schauen wir auch darauf, inwieweit sie in ihrer Lieferkette ihre Preismacht ausüben können. Denn ist ein Unternehmen ein Preisnehmer, so hat es kaum größeren Einfluss in der Lieferkette, um Dinge zu bewegen. Wir interessieren uns also dafür, was Unternehmen kurzfristig tun, um die Risiken zu mindern, und was sie auf längere Sicht vorhaben.

Ist sich die Chefetage in allen Unternehmen ihrer Lieferkettenrisiken bewusst? Ich würde sagen, in manchen Unternehmen ja, in manchen nein. Nehmen wir beispielsweise die Autohersteller. Da gibt es große Unterschiede. Proaktive Branchenvertreter kennen die Risiken und wissen, was sie unternehmen müssen. Doch viele Unternehmen reagieren erst, wenn das Risiko unübersehbar ist.

Unternehmen wie Tesla und Mercedes haben beispielsweise frühzeitig die Initiative ergriffen. Sie kontrollieren im Grunde einen großen Teil der Lieferkette – und wo das nicht der Fall ist, versuchen sie aktiv, ihren Einfluss auszubauen.

Für uns ist die Mitwirkung bei Unternehmen eine natürliche Verlängerung unseres Investmentprozesses und trägt entscheidend dazu bei, zu durchschauen, wie ein Unternehmen mit solchen Risiken umgeht – und besser zu erkennen, wo es seinen Ansatz womöglich noch energischer verfolgen müsste. Wenn wir in ein Unternehmen investieren wollen, sehen wir uns in der Pflicht, es auf all diese Fragen hinzuweisen. Darüber reden wir im persönlichen Gespräch mit dem Managementteam. Dabei betrachten wir jeweils den Einzelfall – in dem Verständnis, dass ein grundlegender Umbau von Lieferketten ein Prozess ist, der mindestens zehn Jahre in Anspruch nimmt.

Sie wissen ja, bis die Globalisierung richtig in Fahrt kam, hat es rund zehn Jahre gedauert. Seither hat sich das Tempo stabilisiert – und alles ist auf dieses System zugeschnitten worden.
1 Quelle: CNBC, August 2022, www.cnbc.com/2022/08/17/china-needs-taiwans-biggest-chipmaker-more-than-the-other-way-around.html

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