John F. Kennedy sagte einst: „Im Chinesischen besteht das Wort für ‚Krise‘ aus zwei Schriftzeichen – eines für Gefahr, das andere für Gelegenheit. In der Krise sollten Sie sich vor der Gefahr hüten, aber die Gelegenheit erkennen.”

Das gilt sicherlich auch für die jüngsten Verwerfungen in der Bankenbranche. Diese größte Welle von Bankausfällen seit der globalen Finanzkrise von 2008 beschwor rasch Weltuntergangsstimmung herauf, weil sie an den spektakulären Kollaps von Lehman Brothers erinnerte, der die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession riss und um ein Haar das ganze Finanzsystem zum Einsturz gebracht hätte Doch für versierte Anleger bietet die jüngste Marktvolatilität durchaus Chancen.

Dazu Jason Long, Portfoliomanager bei Harris Associates in Chicago: „Wir halten den unlängst ausgelösten Schock für weitgehend idiosynkratisch. Die Credit Suisse scheiterte an mangelhaftem Risikomanagement, die Silicon Valley Bank an unzulänglichem Durationsmanagement ihres festverzinslichen Portfolios, und Signature und Silvergate waren jeweils in erheblichem Umfang in Kryptowährungen und in der Kryptowährungsbörse FTX engagiert. Daher halten wir diese Probleme für eingegrenzt.”

Ähnlich sah das Phillipe Berthelot, Leiter der Sparte Credit and Money Market beim Pariser Rentenspezialisten Ostrum Asset Management: „Das ist kein Lehman-Moment. Das Umfeld ist keineswegs chaotisch. Keine Frage, es ist Volatilität entstanden, doch die Aufsichtsbehörden haben genau so reagiert, wie man es erwarten sollte.”

Gelegenheiten erkennen
Trotz der sensationslüsternen Berichterstattung in den Medien und anderswo haben die von der Federal Reserve ergriffenen Notmaßnahmen und die rasche ‚Mussehe‘ zwischen Credit Suisse und UBS offenbar nach und nach wieder Ruhe in die Märkte gebracht.

Bankaktien und Credit Spreads normalisieren sich allmählich, wie Berthelot feststellte. Vielbeachtete Volatilitätsmaßstäbe wie der VIX (für US-Aktien) und die MOVE-Indizes (für US-Staatsanleihen) waren in den letzten Wochen rückläufig. Der Stoxx Bank Index, ein Index für europäische Bankwerte, lag Ende März für das laufende Jahr sogar noch leicht im Plus.1

„Der MOVE-Index erreichte seinen höchsten Stand seit dem Niedergang der Credit Suisse”, legte Berthelot nach. „Doch inzwischen ist Ruhe eingekehrt, und es setzt eine Normalisierung ein.”2

Für Berthelot, der mit einer Präferenz für Anleihen aus dem Finanzsektor ins Jahr 2023 gestartet ist, hat sich wenig geändert. „Finanztitel haben wieder dasselbe Niveau erreicht wie zu Jahresbeginn, und sie sind nach wie vor günstig”, erklärte er. „Anfang des Jahres herrschte großer Konjunkturpessimismus, doch bisher ist es uns gelungen, einer Rezession zu entgehen.”

Bei Harris zeigte sich Long für bestimmte Finanzwerte ähnlich enthusiastisch wie der Veteran von Ostrum AM. Er kommentierte: „Im Aktiensegment hält Harris seit Längerem Finanztitel, die grundsätzlich von jeder Krise oder Flucht in die Qualität profitiert haben. Mit Blick auf die Entwicklungen in den USA werden Abflüsse aus Depots in die qualitativ hochwertigsten Banken umgeleitet. Dabei handelt es sich um diversifizierte Organisationen mit Überschusskapital und -liquidität.”3

Gleichzeitig sind Aktien nach wie vor attraktiv bewertet – ebenso wie Anleihen. „In die Bewertungen von Finanzaktien ist derzeit ein ausgesprochen düsteres Szenario eingepreist, das unseres Erachtens vermieden werden kann”, meinte Long. „Für den Sektor in Europa gilt beispielsweise, dass das KGV für die nächsten zwölf Monate bei 6 liegt, der langfristige Durchschnitt aber bei 10. Es besteht daher echtes Wertpotenzial. Wenn überhaupt, so haben wir die jüngste Kursvolatilität genutzt, um nach Schnäppchen Ausschau zu halten.”4

Defensiv spielen
Doch nicht alle beurteilen die Lage so konstruktiv. Ein Worst-Case-Szenario hat sich zwar vorerst abwenden lassen, doch der Dominoeffekt auf die gesamte Weltwirtschaft könnte auf längere Sicht noch verzögert zum Tragen kommen.

„Wie stark er um sich greifen könnte, ist unklar”, gab Portfoliomanager Peter Palfrey von Loomis Sayles zu bedenken. „Dass Kapital abgezogen wird, könnte weiterhin problematisch sein. Das wiederum bedeutet, dass für regionale Banken Kapital- und Kreditvergabestandards stärker in den Fokus rücken.”

Doch Anleger könnten gut beraten sein, auch in Erwartung einer Abschwächung im Kreditgeschäft weiterhin flexibel und aufgeschlossen zu bleiben. „Bis sich Indikatoren zu den Kreditvergabedaten der Banken niederschlagen, dauert es Monate”, so Palfrey weiter. „Bestimmte Sektoren, allen voran das Finanzwesen, haben Treffer abbekommen. Das eröffnet langfristig Chancen. Die Frage ist nur: wann?”

Der Manager aus Boston geht ferner davon aus, dass die nächste Hiobsbotschaft im weiteren Verlauf des Jahres Gewerbeimmobilien betreffen könnte – vor allem, wenn die Kreditschöpfung nachlässt. Das spricht für eine defensivere Position.

„Bestimmte Teile dieser Märkte sind als angeschlagen zu betrachten, doch diese Erkenntnis hat sich eindeutig noch nicht überall durchgesetzt”, warnte Palfrey. „Beruhigt sich die Bankenkrise und die Renditen klettern weiter, würden wir bei Anleihen auf längere Duration setzen. Generell sind wir verstärkt auf mehr Qualität, Liquidität und Duration ausgerichtet, da wir uns auf eine Abschwächung und eine früher oder später erfolgende Neubewertung der Kurve einstellen.”

Loomis, Sayles & Co, Ostrum AM und Harris Associates gehören zum Affiliate-Netzwerk von Natixis Investment Managers und sind Teil unseres Expert Collective.


Gedankliche Vielfalt fördert die Entwicklung erkenntnisreicher Ideen.

Das “Expert Collective” kurz vorgestellt

GLOSSAR
  • Überschusskapital und -liquidität – Kapital ist ein Maßstab für die Ressourcen einer Bank, Verluste aufzufangen. Liquidität ist ein Maßstab für die Zahlungsmittel und andere Vermögenswerte, die einer Bank zur Verfügung stehen, um Rechnungen prompt zu begleichen und kurzfristige geschäftliche und finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen. Überschusskapital und -liquidität bedeuten, dass einer Bank reichlich Kapital und Liquidität zur Verfügung stehen, um Verluste zeitnah zu verkraften.
  • Lehman-Moment – Ein „Lehman-Moment” beschreibt den Punkt, an dem die Probleme eines Unternehmens zum Problem der Allgemeinheit werden. Der Begriff bezieht sich auf den Konkurs der weltweit tätigen Investmentbank Lehman Brothers Ende 2008, der sich schnell zum schwerwiegenden Problem für US-Investmentbanken und letztlich die ganze Welt auswuchs.
  • Kreditvergabestandards – die Standards und Bedingungen für die Vergabe eines Bankkredits an ein Unternehmen oder eine Person. Unter strengeren Standards ist zu verstehen, dass eine Bank kritischer prüft, wem sie Geld leiht – was letztlich zu geringerer Kreditvergabe führen und dadurch die Konjunktur belasten kann.
  • MOVE-Index – Damit ist das Merrill Lynch Option Volatility Estimate gemeint, das die implizite – also die erwartete künftige – Volatilität des Marktes für US-Staatsanleihen misst.
  • VIX-Index – Der CBOE Volatility Index der Chicago Board Options Exchange, auch VIX-Index, ist ein Index, der die implizite – also die erwartete künftige – Volatilität des US-Aktienmarktes misst.
  • Volatilität – Unter Volatilität ist die Rate zu verstehen, mit der der Kurs eines bestimmten Vermögenswerts über einen festgelegten Zeitraum steigt oder fällt. Eine höhere Aktienkursvolatilität bedeutet gewöhnlich höhere Risiken.
  • Rendite – Ein Maß für die laufenden Erträge eines Investments. Bei Aktien besteht die Rendite in der jährlichen Dividendenzahlung, ausgedrückt in Prozent des Marktkurses der Aktie. Bei Anleihen entspricht die Rendite der jährlichen Verzinsung in Prozent des aktuellen Marktkurses.
1 Source: Bloomberg
2 Source: Blomberg: For instance, the Merrill Lynch Option Volatility Estimate, or Move Index, reached a record 198.71 on 15 March 2023
3 Source: Large banks like JPM, Citi and Bank of America saw big deposit inflows even as smaller banks saw outflows. Source: FT, https://www.ft.com/content/2b580939-a4b6-48d2-8eb6-629b4cb1e06c
4 Source: Harris, Bloomberg

Diese Unterlagen dienen ausschließlich der Information und sind nicht als Investmentberatung zu verstehen. Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten zum angegebenen Datum können sich jederzeit ändern. Es kann nicht zugesichert werden, dass Entwicklungen wie in diesem Artikel prognostiziert ablaufen.